ensembles and musicians:
Tal Arditi Trio
Der Gitarrist Tal Arditi gehört zu den Aushängeschildern der überaus lebendigen jungen israelischen Jazz-Szene. Sein zweites Album Colors zeigt variantenreiches Spiel und kraftvolle, energiegeladene Kompositionen. Gemeinsam mit Lukas Traxel am Kontrabass und Tobias Backhaus am Schlagzeug kreiert Arditi einen einzigartigen Sound, in dem er Einflüsse von Jazz, Rock und Klassik mit brasilianischen Rhythmen vermengt.
Der Albumtitel Colors bezieht sich sein komplexes Gitarrenspiel. „Ich spiele mit Plektrum und drei Fingernägeln, so dass ich manchmal zwei oder gar drei Stimmen erzeugen kann“, erklärt Arditi am Beispiel RDT World, das auf seinen Familiennamen anspielt. „Rockige, verzerrte Gitarrenklänge folgen auf entspanntere Momente“, beschreibt Arditi seine Art des Komponierens, die an die Bach-Variationen erinnert. „Man kann eine Basslinie mit der einen Hand spielen und mit der anderen Hand eine zweite, rhythmisch völlig andere. Ich habe aber gar keinen klassischen Hintergrund, das hat sich einfach so ergeben. Ich hätte auch nie gedacht, dass aus mir mal ein Gitarrist wird, der seine Fingernägel benutzt – und: schwupp, hier bin ich!“
2016 erwarb Arditi sein Jazzdiplom auf der renommierten Rimon School of Music in Ramat Hasharon in der Nähe von Tel Aviv. „Ich war 18, hatte gerade meinen Schul- und Hochschulabschluss in der Tasche, als meine Eltern in die Schweiz zogen. Sie luden mich ein, mitzukommen“, erinnert sich der Gitarrist und erklärt: „Es war ein Dorf mit 300 Einwohnern. Schnuckelig und geradezu beängstigend ruhig. Schon nach einer Woche wurde mir klar, dass ich hier nicht richtig aufgehoben war. Da war es mir in Berlin einige Jahre zuvor völlig anders ergangen. Die Atmosphäre, die diese Metropole versprühte, faszinierte mich von Anfang an. Deshalb packte ich meine Sachen und zog nach Berlin – in diese riesige Stadt, in der du Menschen vom gesamten Erdball triffst. Ein großartiges Gefühl, das ich in dieser Form nie zuvor empfunden hatte.“
In Berlin sprach sich sein enormes Talent schnell herum. Eine Einladung in den Jazz-Club A-Trane ließ nicht lange auf sich warten. Dort nahm er sein Debütalbum Portrait auf. Auch für den Nachfolger Colors hat Arditi wieder alle Kompositionen selbst geschrieben. „Ich versuche täglich, Stücke zu schreiben. Das ist ein fester Bestandteil meines Alltags – so wie essen, trinken und üben. Ich habe bestimmt 500 Ideen, Fragmente und Entwürfe auf meinem Smartphone gespeichert. Die höre ich mir immer wieder an, verfeinere sie und komme dabei auf neue Ideen“, beschreibt der Gitarrist seinen Kompositionsprozess.
Das persönlichste Stück auf dem neuen Album ist Eli, das Arditi seinem Großvater gewidmet hat. „Die Idee entstand nach einem Telefonat mit ihm. Er ist 96, eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Eigentlich stammt er aus Paraguay. In seinen Zwanzigern kam er dann nach Israel, wo er Arzt wurde.“
Bei der Frage, welche Bedeutung die Titel seiner Kompositionen haben, legt sich der junge Musiker nicht immer fest. „Ich bin zum Beispiel schon oft gefragt worden, ob sich No One’s Land auf den Palästinakonflikt bezieht. Vermutlich ist das so, denn ich bin in Israel aufgewachsen. Den Konflikt selbst habe ich aber nie aus nächster Nähe zu spüren bekommen. Es ist weder dein, noch mein Land, obwohl meine Familie und Freunde dort leben. Was ich weiß ist, dass es dort großartige Menschen, tolles Essen und mitreißende Vibes gibt.“
Ähnlich erging es Arditi mit dem Stück Hope. „Warum ich das so genannt habe, weiß ich gar nicht so genau. Vielleicht, weil du als Musiker oft Sätze wie ‘Lass das lieber, damit verdienst du doch kein Geld!‘ zu hören bekommst. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.“
Oder Retreat, das „als Wortspiel begann, weil der Song ziemlich intensiv und schwierig zu spielen ist.“ Andere Stücke wurden von Orten inspiriert. So entstand After Lisboa nach einer Reise nach Portugal und New Year’s Light nach einem Silvestertrip in die Schweizer Alpen inklusive Feuerwerkpanorama. The Other Side of the World wiederum nimmt Bezug auf die Attentate auf die Moscheen in Christchurch / Neuseeland.
„Als Gitarristen haben mich Jimmy Page, John Scofield, Pat Metheny und Toninho Horta am meisten beeinflusst“, erklärt Arditi und ergänzt: „Aber noch mehr als die Gitarristen inspirieren mich andere großartige Instrumentalisten wie Bud Powell, Keith Jarrett oder Brad Mehldau.“
Als vielbeschäftigter und heißbegehrter Gitarrist ist Arditi inzwischen regelmäßiger Gast in angesagten Jazzclubs, sowie auf Festivals wie dem Umbria Jazz-Festival, dem Xjazz Festival, dem Red Sea Festival, dem Fusion Festival oder dem Open Air Keintal. 2018 erhielt er eine Einladung zur Betty Carter Jazz Ahead in Washington DC.