ensembles and musicians:
Michael Wollny & Joachim Kühn
Joachim Kühn und Michael Wollny sind in jeglicher Hinsicht unverwechselbar und grundverschieden. Gerade darin liegt auch ein bedeutender Teil ihrer Gemeinsamkeit. Beide sind als herausragende Virtuosen ohne stilistische Einengungen in den unterschiedlichsten Sparten der zeitgenössischen Musik. Beide verfügen über einen wachen und enorm kreativen Geist, über die Tugend des Zuhörenkönnens und die Sicherheit, die es ihnen ermöglicht, im richtigen Augenblick das Richtige zu tun und den Duo-Partner und manchmal auch sich selbst zu überraschen.
Ihre Duo-Arbeit begann im Oktober 2008 mit der Aufnahme des Albums »Piano Works IX: Live At Schloss Elmau«. Die Südwestpresse nannte es damals einen »Glücksfall für den Jazz und die neue Musik.« Nun fast 15 Jahre später sind die beiden Pianisten wieder zusammengekommen. Was nun zu hören ist und wie das klingt? Das Album dokumentiert das Konzert in der Alten Oper Frankfurt am 23. Januar 2023 in seinen wesentlichen Phasen. Nichts ist getrickst, nichts beschönigt, nur an einer Stelle die Reihenfolge verändert. Zwischenbeifall musste nicht umständlich herausgeschnitten werden, weil das überaus zugewandte und gefesselte Publikum zwischen dem Schluss jedes Stücks und dem Beifall eine Abkling-Sekunde nahm. Das weist auf die enorme Intensität des Konzerts.
Man hört zwei improvisierende Pianisten, die wortlos und auf sehr grundsätzliche und sogar detaillierte Weise miteinander im Konsens sind. Die jegliches Umeinander-Herumschleichen, Abtasten und Erstmal-Kennenlernen längst hinter sich gelassen haben. Die vom ersten Augenblick an wissen, was sie aneinander haben, was sie sich und einander zutrauen und zumuten wollen und können. Die sich Zeit nehmen und geben, die einander nicht unter Druck setzen und gern ein Stück weit begleiten. Deren Spiel manchmal fast zu verschmelzen scheint. Die aber auch mit eigenen Richtungsentscheidungen nicht hinterm Berg halten und Kontraste herstellen, der Andere wird schon wissen, was er tun soll. Die an der gemeinsamen Musik arbeiten wie zwei Bildhauer an derselben Skulptur.
Manchmal ist alles ganz klar, manchmal unmöglich zu unterscheiden, wer gerade vorn und wer hinten, wer links spielt und wer rechts. Für die alte Jazzer-Frage »Ist das noch Jazz?« scheinen sich beide nicht sonderlich zu interessieren. Mit der ersten Blue Note können sie sich bis zum vierten Stück (Ornette Colemans »Somewhere«) Zeit lassen, ohne jemanden vergeblich warten zu lassen. Beide folgen, verdichtet, virtuos und inspiriert, einer Praxis, die in der europäischen Klaviermusik »fantasieren« genannt wird und die seit über einem Jahrhundert aus der Mode gekommen scheint, weshalb sie mit der Energie des Jazz neu belebt werden musste. Man hört zwei Musiker, deren Wege immer wieder auseinanderlaufen, um sich erneut zu treffen und die am Ende gemeinsam ein Requiem für Joachims Bruder Rolf spielen.
Natürlich ist das Jazz, was sonst.