Nils Wülker
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Früher hieß es, man müsse Jazz kapieren, um Hip Hop zu verstehen. Nils Wülker, der Songwriter mit der Trompete, ist das beste Beispiel: er ist über einen Blue-Note-Sample von Herbie Hancock in US3s „Cantaloop (Flip Fantasia)“ zum Jazz gekommen. Mit „ON“ hat er jetzt, fast 25 Jahre später, eine Hybrid-Fantasie musikalischster Natur erschaffen: Großartige Songs, brachialer Funk, energiegeladene Improvisationen und elegante Electronic-Sounds, zwei Vocal-Stücke mit dem (halb)-amerikanischen Wiener Rob Summerfield und ein lässiges Feature von Marteria fusionieren hier zu einer überraschenden, gleichberechtigten Union von Jazz und Hip Hop. Vor allem aber faszinieren die zwölf Songs als ebenso dichter wie erlöster, faszinierender wie flimmernder Soundtrack unserer Zeit. Drückt man hier „on“, stellt sich das Lebensdrama auf „off“. Wenn diese Musik Flucht ist, dann eine nach vorn. Gut möglich, dass sie außerdem den einen oder anderen Hörer wieder für Jazz begeistert.
„Die Stücke auf meinem letzten Album „UP“ waren poppig,“ sagt Nils Wülker, „aber der Sound noch eher „klassisch“, weitestgehend akustisch. Jetzt wollte ich die Tür zu einer neuen Klangwelt aufstoßen, habe angefangen, mit Synths und Programming herumzuspielen. Da ich auf dem Gebiet wenig erfahren war, wollte ich mir Unterstützung suchen. Es sollte nicht elektronisch kühl werden, sondern warm und trotzdem mit Ecken und Kanten. Da kam ich schnell auf The Krauts.“ Im Sommer 2016 kontaktierte Nils Wülker, der mit dem Vorgänger „UP“ den Hamburger Musikpreis HANS als „Musiker des Jahres“ gewann, erneut mit dem German Jazz Award in Gold ausgezeichnet und für den ECHO Jazz nominiert wurde, das erfolgreiche Produzententeam, das unter anderem hinter den Erfolgen von Peter Fox, Miss Platnum oder Marteria steht und 2009 beim ECHO als „Pop Produzenten des Jahres“ geehrt wurde. Die Zusammenarbeit mit The Krauts lief schon bald so gut, dass der Trompeter zwei Nummern für das kommende Marteria- Album einspielte. „Bei der Produktion meines Albums habe ich Stücke geschrieben, also Melodien, Akkorde, Trompeten- und Piano-Parts. Dann haben wir uns im Studio der Krauts eingeschlossen, Sounds durch den Wolf gedreht, über die Stücke gejammt, die Jungs haben Beats und Samples beigesteuert. Ein großer Spaß! Häufig sind so dann auch schon gemeinsam erste Ideen für Arrangements entstanden.“ Diese neue Art der Zusammenarbeit hatte auf Wülker eine befreiende Wirkung. „Es hat eine Zeit gebraucht, das nötige Selbstvertrauen zu gewinnen, meine Klavierparts oder auch Programmings so stehen zu lassen“, gibt Nils Wülker zu. „Mit dem Gedanken, dass meine Parts auf anderen Instrumenten Bestand haben, musste ich mich erst anfreunden. Aber dann hat das auch Spieltrieb und Experimentierfreude befeuert.“ Als die zwölf Songs standen, ging Nils Wülker im Oktober letzten Jahres mit dem Produzenten und Mixer Ralf Christian Mayer, bekannt u.a. von seinen Arbeiten für Clueso, in die Tonscheune in Berlin und nahm dort mit seiner Band gemeinsam in einem Raum auf.
Die Musik auf „ON“ – zwölf Lieder, die meisten ohne Worte, die man sofort mitsingen will. Der Sound wirkt deutlich moderner, die Stücke so hookig, wie man es von diesem „großen Melodiker“ (Die Zeit) gewohnt ist. Als Instrumentalist agiert Nils Wülker hier allerdings jazziger denn je, er improvisiert so extrovertiert und energisch, wie man es bisher vor allem von den Konzerten mit seiner Band kannte. Dadurch ist die Musik einerseits zugänglich, aber auch kantiger als zuvor. Wobei Letzteres natürlich an allen Elementen und Beteiligten liegt. Diese Energie, diese Offenheit für den Überraschungsmoment, das Spielerische sowohl in den programmierten und gesampleten Details wie im musikalischen Ausdruck, findet sich immer wieder. Wie Puppenspieler leiten uns Nils Wülker, The Krauts und seine Musiker von einem Highlight zum Nächsten, durch emotionale Täler und auf (atmo)-sphärische Höhen. Sein neuntes Album ist auch deshalb Wülkers bisheriges Meisterstück, dessen enormes Potential sich schon lange abzeichnete, gleichermaßen Aufbruch und Ausrufezeichen, das bei seinen vielen Fans offene Türen einrennen dürfte. „ON“ in jeder Hinsicht.