Ensembles und Musiker*innen:
Vincent Peirani Jokers Trio
Einmal mehr mischt der Akkordeonist Vincent Peirani die Karten neu. Der Franzose ist bekannt für „Musik ohne Grenzen“ (NDR), gerne wagt er sich in unerforschte Gefilde. Enthusiastisch und begierig absorbiert Peirani neu Entdecktes in sein Spiel und bringt sein Instrument in immer neue Kontexte. Mit seinem ersten Album in Trio-Besetzung, „Jokers“, überrascht Peirani abermals, mit einem Stilmix, den man so noch nie gehört hat…
Das Jokers-Projekt ist nicht ganz neu. Es entstand bereits vor einigen Jahren, als der NDR Vincent Peirani einlud, zwei Konzerte zu produzieren, für die er eine Carte blanche erhielt. Er entschied sich für ein Jazztrio, ein Format mit langer Geschichte und im Jazz nahezu heilig. Aber wie es für Peirani typisch ist, dient dieser Rahmen nur dafür, um aus ihm auszubrechen und mit dem Gewohnten anders zu spielen. Peiranis Mitstreiter, Federico Casagrande an der Gitarre und Ziv Ravitz am Schlagzeug, erweisen sich dafür als ideale Partner. Beide verfügen über einen großen Erfahrungsschatz, interessieren sich für Rock und elektronische Musik und haben einen Sinn für musikalische Mischformen.
Ravitz war es dann auch, der Peirani vorschlug, mit elektronischen Effekten auf dem Akkordeon zu experimentieren. Der Ton war gesetzt. Die Gruppe gab zunächst einige Konzerte, um die klanglichen Möglichkeiten auszuloten und zu verfeinern. Als es dann an der Zeit war, über ein Album nachzudenken, beschloss Peirani, die Karten einmal mehr neu zu mischen: „Wir nehmen dieselben Musiker, fangen aber noch einmal ganz von vorne an, mit einem Repertoire und einem Sound, der sich von den Live-Auftritten völlig unterscheidet.“
„Jokers“ beginnt mit „This Is the New Shit“, einem Remake eines Stücks der amerikanischen Metal-Band um den gleichnamigen Schock-Rocker Marilyn Manson. Man erwartet einen Ausbruch höllischer Gewalt, doch stattdessen lässt Vincent Peirani eingangs eine Spieluhr-Melodie erklingen, wie ein Kind, das eine Welt erfindet, deren Geheimnisse nur es kennt. Eine Art Vorspann, nach dem sich der Rest des Albums wie ein Film entfaltet: Mit Spannung, Romantik, Rhythmus, (super)natürlichen Schauplätzen, Fantasie, Reiseaufnahmen, virtuosen Ausbrüchen und intimen Momenten, sowie einer Beleuchtung, die an den Film Noir gemahnt bevor sie die Leinwand in Flammen aufgehen lässt. Diese wundersame Musik mit ihren unvorhersehbaren Wendungen und Windungen atmet, verwirrt und verwöhnt die Sinne. Die Stücke auf „Jokers“ wirken wie Sequenzen in einem Film, eingerahmt ins große Ganze und sorgsam zusammengeschnitten. Vincent Peirani spielt darin die Hauptrolle mit seinem vertrauten Akkordeon, aber durch die Magie der Effekte und kraft des Sound-Designs verwandelt es sich in ein „Kamera-Akkordeon“, einen kaleidoskopartigen Leuchtkasten.
Während der langen Zeit der Pandemie, die so förderlich für die Neuerfindung auf „Jokers“ war, experimentierte Peirani viel mit den Möglichkeiten elektronischer Klangeffekte und tauchte tief in die Rolle des Produzenten ein. Dies war in dieser Art neu für ihn. Das mit der Band aufgenommene Material gestaltete er beim Abmischen des Albums um, Peirani feilte an Details und Stimmungen. So gab er den Stücken einen neuen Twist, von dessen Endergebnis Casagrande und Ravitz oft keine Ahnung hatten, sie vertrauten dem Regisseur.
Auch wenn es vordergründig nicht so klingt, „Jokers“ ist in der Tat ein Jazz-Album: Die Musiker hören einander zu, erwecken das musikalische Material in der Interaktion zum Leben. Das Trio findet und versteht sich auf verschlungenen Pfaden, die erst im Moment des Zusammenspiels entstehen und eine Richtung bekommen. „Circus of Light“ spiegelt ein Polarlicht auf den Gewässern des Mittelmeers oder schickt Nino Rota in die Milchstraße. „River“, das einen Pop-Hit von Bishop Briggs aufgreift, besucht die Sträflingslieder des amerikanischen Südens. „Copy of A“, ein Stück, das ursprünglich von Nine Inch Nails aufgenommen wurde (Peirani ist ein Fan), beschwört den Jubel einer außerirdischen Karnevalsparade. Bis hin zum Abspann, mit einem bewegenden und nachdenklichen Spaziergang durch Italien, lässt „Jokers“ garantiert keinen Moment der Langeweile aufkommen. Mit seiner kraftvollen Rockmusik-Energie, melodiösen Feinfühligkeit und grenzenlosen Virtuosität sowie seiner kühnen Risikobereitschaft ist dieses Album einfach ein Spiegelbild von Vincent Peirani: Man weiß nie, wo man ihn erwarten kann, aber man freut sich immer, ihn dort zu finden!