CD: Ravel

Ravel / Dieter Ilg

Dieter Ilg

publication date: 30 Sep 2022
Wie kaum ein anderer Kontrabassist und nur wenige Jazzmusiker überhaupt hat sich Dieter Ilg innerhalb des zurückliegenden Jahrzehnts seiner Laufbahn der Weiter-Erzählung der Musik klassischer Komponisten mit den Mitteln des Jazz verschrieben. Auf seinem neuen Album widmet er sich dem großen Impressionisten Maurice Ravel. Mit unverwechselbar singendem Ton, so präzisem, wie luftigem Groove, großer Vorstellungskraft und seinem außerordentlich sensibel agierenden Trio zusammen mit Pianist Rainer Böhm und Schlagzeuger Patrice Héral.
Ravel / Dieter Ilg

ensembles and musicians:

Dieter Ilg Trio

Dieter Ilg
Dieter Ilg
double bass

Die »Pavane pour une infante défunte« (Pavane for a Dead Princess) brachte Ilg erstmals in Berührung mit dem französischen Komponisten. Das Stück hatte ihn in jungen Jahren in einer Version von Jim Hall und Art Farmer fasziniert: »Als ich nach einer neuen Inspirationsquelle für mein Trio suchte, erinnerte ich mich sofort an dieses Stück. Wir tauchten tiefer in Ravels OEuvre ein und stießen auf eine breite Palette von Interpretationsmustern, die wir zuvor bei Beethoven oder Bach nicht so vorfanden und die uns eine noch größere Freiheit anboten. Ravels Musik ist uns wie auf den Leib geschneidert!«

Dass Ilg irgendwann bei Maurice Ravel landen würde, verwundert nicht, ist doch sein künstlerischer Ansatz ganz und gar impressionistisch. »Mich interessiert, was zwischen mir und dem Objekt passiert« hat Claude Monet einmal über seine Malerei gesagt. Für Ilgs Schaffensprozess gilt dies ebenso, denn die musikalischen Vorlagen sind der Trigger für eigene Empfindungen, die zu neuen Klangbildern verarbeitet werden: »Ich handele nicht nach Plan und will nichts nur einfach wiedergeben, sondern mit den Meistern ›in mind‹, Eigenes gestalten.«

Die Stücke, die Ilg dafür auswählt, müssen ihn »anspringen«, wie er selbst sagt. Wie, das ist völlig offen: Es kann eine Melodie sein, eine rhythmische Figur, Akkordfolge oder auch Stimmung, die für Anziehungskraft sorgt: »Hören und im Moment entscheiden«, ist Ilgs Devise, im Prozess des Komponierens aber vor allem auch in den Trioimprovisation, die eine Atmosphäre des Augenblickes entstehen lassen.

Bei »Ravel« wird der Betrachter zum Subjekt: »Er lässt uns mehr im Unklaren, was richtig und falsch ist. Die Deutungsfreiheit ist bei ihm schon angelegt. Seine Musik lässt sich ganz organisch in Jazz verwandeln«, sagt Ilg. Vielleicht auch deshalb weil Ravels Schaffen um 1900 mit der Entstehungsgeschichte des Jazz zusammenfiel und er dafür ein offenes Ohr hatte. Mit George Gershwin zog er in den 1920er Jahren durch Harlem, um Duke Ellington und Co. zu hören. Darüber hinaus war sein Lebensmittelpunkt Paris das kulturelle Drehkreuz in die USA. All das hat Spuren in Ravels Musik hinterlassen. Überhaupt läutete der musikalische Impressionismus die zeitgenössische Musik des 20. Jahrhunderts ein. Ein idealer Nährboden also für Ilgs Variationen im Jazzkontext.

Ein Füllhorn der musikalischen Stimmungen erwartet den Hörer. Auf das atmosphärisch hingetupfte »Pavane pour une infante défunte« folgt das aufgewühlte, rhythmisch bewegte »Alborada Del Gracioso«. Das »Trio« mündet in ein Improvisationsfeuerwerk und »Valse II« swingt lässig. Verträumt schwelgerisch endet das Album mit »Le Jardin féerique«. Der »Bolero« mit seinem prägnanten rhythmischen Fundament durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Vorschlag dazu kam, wie könnte es auch anders sein, von Schlagzeuger Patrice Héral. »Nur schade, dass er überhaupt keine Musik enthält«, sagte Ravel einst ironisch über sein Meisterwerk. Was für Ilgs Version wahrlich nicht gilt, in der das melodische Tonmaterial des Stücks durch Böhms verdichtende Klavierimprovisation überraschende Wendungen nimmt.

»Ravel« ist ein spannungsreiches Wechselspiel der Protagonisten und immer ein Mitmachen. Zu jeder Zeit gestalten Ilg, Böhm und Héral die Musik gleichermaßen. Hier herrscht Meinungsfreiheit. Soli sind nie ein Egotrip, sondern Impulse für das Kollektiv: »Lange wirkte kein Trio mehr derart intensiv miteinander verstrickt wie dieses«, befand der NDR. Es eröffnet eine außergewöhnliche musikalische Welt, die Staunen lässt, mit welcher Natürlichkeit, Sensibilität und Einfühlsamkeit Brücken zwischen Klassik und Jazz gebaut werden.

Was ist Original, was Variation? Wo fängt Ilg an und wo hört Ravel auf…? Große Kunst muss man nicht verstehen, das wusste schon Monet: »Die einzige nötige Sache ist, sie zu lieben.«

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